© Dana Schmidt
zerrissen
Wie ist das Leben für ein Kind, das ein Gefühl in sich trägt, das viele als „geboren im falschen Körper“ beschreiben und wie können Eltern in dieser Situation helfen?
Leon (Name geändert) möchte einfach nur normal sein, nicht weiter auffallen, doch es gibt da ein Problem: Leon ist mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen geboren. „Mein Kind war nie ein typisches Mädchen. Darüber habe ich mir aber zunächst wenig Gedanken gemacht. Es gibt ja auch burschikose Mädchen.“, sagt seine Mutter Claudia (Name geändert). Aber das Leon sich im falschen Körper fühlen könnte, diese Möglichkeit war ihr nicht bewusst. Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) e.V. schätzt, dass es zwischen 60.000 bis 100.000 trans* Personen im Land gibt.
Schon im Kindergarten übernimmt Leon im Spiel am liebsten die „Jungsrollen“ und denkt, dass alle Mädchen vermutlich lieber Jungs wären. Im Gymnasium. lernt Leon sich anzupassen. Er möchte plötzlich besonders weiblich wirken, trägt die Haare dafür offen und hofft so einen guten Eindruck beim Lehrpersonal zu hinterlassen, denn gute Noten sind ihm wichtig. Mit Beginn der Pubertät bröckelt die Fassade. Er hat keine Lust sich mit typischen Mädchenthemen auseinanderzusetzen und findet seine Befreiung im Sport. Hier kann er seine Bedenken zu seinem Körper für eine Weile vergessen. Nebenbei ist das Training förderlich für den Muskelaufbau. Sein trainierter Körper gibt ihm das Gefühl männlicher zu wirken, also mehr dem zu entsprechen, was er innerlich fühlt. Mit 13 Jahren googelt er dann das erste Mal „im falschen Körper geboren“ und erkennt sich sofort darin wieder. Drei Jahre später outet er sich auch bei seiner Familie als trans*.
Leon trägt seit dem Outing Männersachen und kurze Haare. „Aber weiter passierte von seiner Seite aus nichts.“, erinnert sich seine Mutter, „Ich hatte den Eindruck, er denkt, er macht seine Schule zu Ende und dann verpuppt er sich und taucht, wie ein Schmetterling, im anderen Geschlecht wieder auf.“ Und tatsächlich fühlte sich Leon damals mit der Situation überfordert. In seiner Mutter wuchs die Angst, dass er sich noch mehr einigeln könnte und eventuell psychische Probleme entwickelt. Sie beginnt sich zu informieren und nach Hilfe zu suchen. Schnell merkt sie, dass es wenige lokale Unterstützungsmöglichkeiten gibt. Auch heute, also fünf Jahre später, existieren gerade einmal zwei Beratungsstellen in ganz Sachsen-Anhalt, die zur Trans*-Gesundheit informieren.
Eine der zwei Beratungsstellen wurde in Magdeburg durch Trans-Inter-Aktiv in Mitteldeutschland (TIAM) e.V. gerade erst eröffnet. Im Rahmen des Bundesmodellprojekts „Zukunft gestalten – geschlechtliche Vielfalt erleben“ werden Daria Majewski und Judith Linde-Kleiner in den nächsten fünf Jahren eine Beratungsstruktur für trans* Personen im Land Sachsen-Anhalt aufbauen. Nicht nur Betroffene finden hier Hilfe und können Kontakt zu anderen trans* Personen knüpfen, es werden auch Fachkräfte in Schulen, Kinderheimen etc. für das Thema sensibilisiert. Dem Team ist es wichtig, dass Menschen, die das Gefühl haben sich mit einer Transgeschlechtlichkeit konfrontiert zu sehen, selbstbestimmt agieren können und einen freien Zugang zu individueller und umfangreicher Beratung haben.
Der Beratungsbedarf steigt enorm. Dr. Julia Bartley, Leiterin des eigenständigen Bereiches „Reproduktionsmedizin und gynäkologische Endokrinologie“ an der Universitätsfrauenklinik Magdeburg, bestätigt das. „Es gibt einen eklatanten Anstieg an Fällen von Kindern und Jugendlichen, die sich im falschen Geschlecht geboren fühlen.“, sagt sie. Wöchentlich kommen zwei bis drei Betroffene in ihre Praxis. Gerade versucht Frau Dr. Bartley mit vielen weiteren Akteuren ein Netzwerk aufzubauen, dass trans* Personen einen schnelleren Zugang zu Fachpersonal vermittelt. Das Menschen sich vermehrt als Trans* identifizieren, hängt für sie vor allem damit zusammen, dass öffentlich mehr über die Genderfrage diskutiert wird. Das befürwortet sie. Allerdings sieht sie sich auch mit einer hohen Anzahl an Patient:innen konfrontiert, die eher mit sozialem Druck oder psychischen Problemen kämpfen und in der Transsexualität nur einen scheinbaren Ausweg sehen. Fest steht, es gibt keine eindeutige Diagnostik für diesen Bereich. Das ist für Fachleute ein großes Problem. Sie müssen sich mehr oder weniger an einem Fragebogen entlanghangeln und mit den Antworten der Patient:innen arbeiten. Es ist deshalb besonders wichtig eine vertrauensvolle Gesprächsbasis aufzubauen, um herausfinden, welche Beweggründe hinter dem Entschluss einer Geschlechtsanpassung stecken.
Tipps für Eltern
Die Entscheidung des Kindes anerkennen.
Das Kind nicht bewerten (Bsp.: „Aus dir wird nie ein richtiger Mann.“).
Im Bedarfsfall eine Erziehungs- u. Familienberatung aufsuchen.
Fragt, was euer Kind sich von euch wünscht, um sich im Alltag wohler zu fühlen
Es ist völlig in Ordnung, wenn das Kind mit seinem Geschlecht spielt, deshalb muss es nicht frühzeitig pathologisiert werden. Bei dem Kind kommt dann eventuell das Gefühl auf, mit mir stimmt etwas nicht. Erst in der pubertären Phase wird im Bedarfsfall eine Beratung wichtig.
Informiert euch oder fragt, was das Kind schon zum Thema weiß. Erste Infos gibt es zum Beispiel hier: www.trans-kinder-netz.de
Reagiert nicht abwertend und antwortet im Bedarfsfall lieber mit dem Satz „Ich muss da mal eine Nacht drüber schlafen“.
Genau hier hakt es, wie der TIAM e.V. feststellt. „Die Transsexualität wird momentan von Mediziner:innen wie ein Projekt behandelt in dem Betroffene beweisen müssen, dass sie Trans* sind.“, gibt Daria Majewski zu bedenken. Das führt ihrer Meinung nach dazu, dass keine vertrauensvolle Behandlungsbasis entsteht. Der betroffenen Person ist bewusst, welche Antworten erwartet werden und damit steigt die Gefahr sich dementsprechend zu verhalten, nur um mit dem passenden Ergebnis herauszugehen. Themen, die wirklich bewegen oder Probleme können so ins Hintertreffen geraten und nicht reflektiert werden. Es steigt auch die Scham während des Prozesses anzumerken, dass sich der Blickwinkel verändert hat und der Wunsch einer Geschlechtsanpassung eventuell in den Hintergrund gerückt ist. So passiert es in seltenen Fällen auch, dass einige Menschen sich nach der Behandlung für eine Detransition entscheiden. Also wieder in ihr vorheriges Geschlecht zurückkehren, weil die Ursachen für ihre Probleme woanders liegen. Sie müssen dann allerdings mit den Veränderungen durch die Hormongabe oder eventuelle operative Ergebnisse leben.
Auch Claudia, Leons Mutter, war sich diesem Risiko bewusst. Deshalb gingen ihr die ersten Schritte zu schnell. Von der Beratungsstelle führte sie der Weg nach Leipzig zu einem Spezialisten, der die Transsexualität bei Leon bestätigte. „Ich habe den Arzt als etwas zu locker empfunden, das hat mich verunsichert. Wir mussten zwar einen langen Fragebogen ausfüllen, mit teils sehr intimen Fragen, doch schon nach zwei Terminen hielten wir die Bestätigung in den Händen, dass Leon trans* ist.“ Leon hingegen konnte und kann die Bedenken seiner Mutter nicht teilen. Er fühlte sich sofort vom Arzt verstanden und sah sich von ihm als das anerkannt, was er ist: ein Mann. „Jedes Mal, wenn die Menschen mich als Mädchen ansprachen, verletzte mich das innerlich. Besonders litt ich unter meinem Namen und dem Personalpronomen. Als mein Körper dann rasant weiblicher wurde und ich Brüste bekam wurde das eine Last für mich.“, sagt er. Es fiel Leon zunehmend schwerer sich im Spiegel zu betrachten.
Der Leidensdruck transgeschlechtlicher Kinder beginnt meist mit der Pubertät, weil sich ihr Körper dann sichtbar in eine Richtung entwickelt, die nicht mit ihrem inneren Selbstbild zusammenpasst. Das kann zur Abspaltung vom Körper, zu selbstverletzendem Verhalten und Substanzmissbrauch führen. Gerade in der Anfangszeit der Pubertät können deshalb zum Beispiel Hormonblocker dafür sorgen die beginnende Veränderung des Körpers vorrübergehend zu stoppen. So kann die folgende Hormontherapie, die bleibende Eingriffe im Körper vornimmt, nach hinten verschoben werden und es entsteht Raum für eine umfangreiche Information und Reflexion. „Das ist medizinisch, zumindest auf einen begrenzten Zeitraum und nach aktuellen Studien gesehen, gut verträglich.“, weiß Daria Majewski von TIAM.
Leon hatte mit keinen psychischen Problemen zu kämpfen, eine Therapie gehörte trotzdem zu seinem Wandlungsprozess. Sie ist vorgeschrieben, um noch einmal zu prüfen, ob der Wunsch einer Geschlechtsanpassung angemessen ist, aber auch um Fragen zur Transsexualität zu beantworten. Theoretisch. Denn vor fünf Jahren gab es in Magdeburg keine einzige Praxis, die sich mit dem Thema schon auseinandergesetzt hatte. Mit der Therapie ist auch ein sogenannter Alltagstest verknüpft. Die betroffene Person soll dabei über mehrere Monate in ihrem gefühlten Geschlecht leben, ohne das körperliche Anpassungen vorgenommen worden. „Das verdrängt völlig, dass es eine Transfeindlichkeit gibt, die auf der Straße für das betroffene Kind auch gefährlich werden kann. Absurde Standards klopfen zudem fest, was typisch Frau oder Mann ist. “, erklärt Daria Majewski das Problem an diesem Test. Mit dieser Einschätzung steht sie nicht allein da. Hinter ihren Gedanken steht die Frage, wie viel Einmischung sollte von außen bei diesem Entscheidungsprozess erlaubt sein und wie viel Selbstbestimmungsrecht muss gegeben sein? „Wir müssen aus diesen Stereotypen heraustreten, die sagen, wie ein Mensch sich zu verhalten hat, um in die Geschlechterrollen zu passen. Auf der einen Seite wollen wir Jungs dazu ermutigen lange Haare oder Röcke tragen zu dürfen und gleichzeitig zwingen wir Transpersonen dazu, sich in der Alltagerprobung einem veralteten Rollenbild anzupassen.“ fügt Judith Linde-Kleiner von TIAM hinzu und stellt damit die Bewertungskriterien in Frage, die eigentlich für Klarheit sorgen sollen.
Auch Leon begibt sich durch einen Durchleuchtungsprozess. In den letzten fünf Jahren hat die Familie viele Telefonate geführt, Papierkram ausgefüllt und Gespräche auf sich genommen, um Leon ein Leben als Mann zu ermöglichen. Dabei fehlte der Familie manchmal ein Austausch auf Augenhöhe. Sie fühlten sich abhängig von den Entscheidungen anderer, denn für viele Prozesse gibt es einen individuellen Spielraum. So werden zum Beispiel für die Krankenkassen nur Handlungsempfehlungen ausgesprochen, die genauen Regelungen kann jede Krankenkasse selbst festlegen. Auch die Beantragung der Vornamens- und Personenstandsänderung beim Amtsgericht empfand Claudia als Schikane. „So etwas entscheide ich doch nicht mal eben aus einer Laune heraus.“, sagt sie und denkt, dass die Prozedur vereinfacht werden könnte. Dieser Antrag kostete der Familie zwei weitere psychologische Gutachten für insgesamt 1.600 Euro. Doch mittlerweile sind viele der Hürden genommen und Leon hat bereits seine erste Operation hinter sich gebracht. Für ihn fühlen sich seine Entscheidungen bisher richtig an, auch wenn sie Einschränkungen mit sich bringen. Denn er muss regelmäßig zum Arzt, um sich Hormone spritzen zu lassen. Das wird sein Leben lang so bleiben und nimmt ihm eine gewisse Unabhängigkeit. Doch das Gefühl zwischen Seele und Körper eine Verbindung geschaffen zu haben, wiegt bei ihm stärker. „Wenn ich mit „Herr“ angesprochen werde, fühlt sich das immer richtig gut an. Das klingt für mich einfach stimmig.“, sagt er fröhlich.
* Meint alle Menschen, die sich nicht oder nicht nur dem Geschlecht zugehörig fühlen, dass in ihrer Geburtsurkunde steht.
Information und Hilfe
Trans-Inter-Aktiv in Mitteldeutschland e.V., Geschäftsstelle Sachsen-Anhalt,
Olvenstedter Straße 60, 39108 Magdeburg
Judith Linde-Kleiner, Tel.: 0176/62985307, j.kleiner@trans-inter-aktiv.org,
Daria Majewski, Tel.: 0176/62623646, d.majewski@trans-inter-aktiv.org,
Kompetenzzentrum geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe Sachsen-Anhalt e.V.
Schönebecker Straße 82, 39104 Magdeburg, Tel.: 0391/6310556, info@geschlechtergerechtejugendhilfe.de, www.geschlechtergerechtejugendhilfe.de
Psychotherapie Dr. med. Torsten Freitag, Sexualmedizinische Praxis, Ernst-Reuter-Allee 15, 39104 Magdeburg, Tel.: 0391/5628001, praxis@dr-freitag-sexualmedizin.de
„Entscheidungsfreiraum Magdeburg“ - SHG-Gruppe für trans* und nonbinary Personen, LSVD Sachsen-Anhalt e.V., Otto-von Guericke-Straße 41, 39104 Magdeburg, kontakt@entscheidungsfreiraum-md.de, lsvd-lsa.de
LSBTIQ*-Elternstammtisch im FIB-Familieninformationsbüro, Krüderbrücke 2, 39104 Magdeburg, Tel.: 0391/598 02700/-01, fib@stadt-magdeburg.de, www.magdeburg.de/FIB